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Hintergrund: Seit Juni 2019 gibt es die DEGAM-Leitlinie „Schutz vor Über- und Unterversorgung – gemeinsam entscheiden“. Die hier vorgelegte Arbeit gibt den Einführungstext der Leitlinie in komprimierter und überarbeiteter Form wieder. Ziel der Arbeit: Das Problem der Über- und Unterversorgung sowie die Existenz der Leitlinie einer breiteren Leserinnen- und Leserschaft bewusst zu machen. Material und Methoden: Grundlage dieser Arbeit ist der Einführungstext der Leitlinie, der von den Autoren, die Mitglieder der Leitlinienkommission sind, neu überarbeitet und ergänzt wurde. Ergebnisse: Der Artikel definiert zunächst Über- und Unterversorgung und führt dann in die wesentlichen Ursachen, Dimensionen und Lösungsmöglichkeiten beider Phänomene ein. Dazu gehören letztlich auch die Folgen von Überversorgung für die planetare Gesundheit. Diskussion: Über- und Unterversorgung sind häufig und bedingen sich oft gegenseitig. Die Leitlinie bietet auf Basis der wichtigsten Empfehlungen der anderen DEGAM-Leitlinien sowie der Nationalen VersorgungsLeitlinie einen Kernempfehlungssatz, um Über- und Unterversorgung zu vermeiden.

Hintergrund: Mit der Entstehung der Kompetenzzentren Allgemeinmedizin im Jahr 2017 sind vielerorts Train-the-Trainer-Seminare (TtT) eingeführt worden. Zusätzlich werden im Rahmen der Kompetenzzentren Begleitseminare und Mentoring für ÄiW angeboten. Die inhaltliche Gestaltung der TtT-Seminare orientiert sich bislang an internationalen Konzepten sowie den Erfahrungen der Organisatoren. Derzeit ist es aber weitgehend unbekannt, welche Wünsche die Weiterzubildenden an ihre Weiterbildungs-Praxen haben. Methoden: Die ins niedersächsische Kompetenzzentrum Allgemeinmedizin eingeschriebenen Weiterzubildenden wurden online zu ihren Wünschen in den Bereichen Kompetenzen der Weiterbildenden, Praxisstruktur und Inhalte der Weiterbildung befragt. Die Ergebnisse wurden zunächst von den Autoren ausgewertet und dann im Rahmen eines Seminars für Weiterbildungsbefugte diskutiert. Ergebnisse: Von 170 per E-Mail angeschriebenen ÄiW beteiligten sich 36 (32 Frauen) (Antwortquote 21,2 %). Die Alters- und Geschlechtsverteilung sowie der Stand der Weiterbildung entsprachen den in das KANN eingeschriebenen ÄiW. Die Erwartungen der ÄiW decken sich zum großen Teil mit den bislang gewählten Schwerpunkten der TtT-Seminare. Das Erlernen kommunikativer Kompetenzen wird weniger stark gewichtet als das Erlernen technischer Fertigkeiten. Eine gute Strukturierung der Weiterbildung wird gewünscht. Von den Weiterbildenden wird eine empathische Qualität als Lehrende erwartet. Schlussfolgerungen: Die Daten erweitern das bisherige Wissen über die Erwartungen der ÄiW an ihre Weiterbildenden. Die bisherige Ausrichtung der TtT-Angebote deckt sich weitgehend mit den Ansprüchen der ÄiW. Die Bedeutung der Unterstützung kommunikativer Fähigkeiten sollte weiter in den TtT-Angeboten entwickelt werden. Ebenso ist es wünschenswert, die Entwicklung empathischer Fähigkeiten in das Angebot der Seminare aufzunehmen. Es ist hilfreich, die Wünsche der ÄiW auch in Zukunft zu erkunden, nach Möglichkeit inhaltlich erweitert und über die Grenzen eines Kompetenzzentrums hinaus, um Stärken und Schwächen der Vermittlung zu detektieren und die Angebote anzupassen.

Hintergrund: Seit 2017 wurden bundesweit Kompetenzzentren zur Förderung der Weiterbildung Allgemeinmedizin etabliert, so das KANN (Kompetenzzentrum zur Förderung der Weiterbildung Allgemeinmedizin Niedersachsen) in Niedersachsen und Bremen. Neben begleitenden Fortbildungen und einem Mentoringangebot für Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung bietet das KANN auch Train-the-Trainer-Seminare (TtT) für hausärztliche Weiterbildungsbefugte bzw. -ermächtigte (WBB). Grundlage des hier entwickelten TtT-Konzepts waren die langjährigen Erfahrungen der Akademie für hausärztliche Fortbildung Bremen. Methoden: Deskriptive Auswertung der Ergebnisse der schriftlichen Evaluation von 2017 bis Anfang 2020. Ergebnisse: Alle drei TtT-Formate - Einstiegs-, Basis- und Aufbaukurse - wurden getrennt evaluiert und durch die Teilnehmenden im Schnitt mit der Gesamtnote 1,4 in Schulnoten (Range: 1,3-1,6) bewertet. Die Teilnehmenden waren zu 56 % männlich, im Schnitt 53,3 Jahre alt (Median: 49 Jahre) und seit 16,4 Jahren hausärztlich tätig (Spanne: 2–31 Jahre). Die Evaluation fokussierte auf die Zufriedenheit mit dem Seminar sowie dem selbsteingeschätzten Kompetenzgewinn. Die durchschnittliche Gesamtbewertung der Basiskurse lag bei 1,3. Einzelne Themenbereiche wie Wissensmanagement wurden weniger gut bewertet, liegen mit einem durchschnittlichen Wert von 1,9 dennoch in einem sehr zufriedenstellenden Bereich. Schlussfolgerungen: Insgesamt wurde das TtT-Konzept des KANN sehr gut bewertet. Dennoch wird es ständig weiterentwickelt, um es an die sich ändernden Bedarfe der Teilnehmenden anzupassen. Im Hinblick auf die Einführung von Pflicht-TtTs für alle WBB in einigen Kammerbezirken können die Angebote der KW Vorbild auch für andere Fachdisziplinen sein.

Hintergrund: Internationale Studien legen einen Zusammenhang zwischen niedrigem Sozialstatus und Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit einerseits und dem Outcome von Infektionen mit SARS-CoV-2 nahe. Entsprechende Studien aus Deutschland fehlen bislang andererseits. Methoden: Retrospektive Beobachtungsstudie in sechs Hausarztpraxen in Bremen und Umgebung zwischen März 2020 und 15. Januar 2021. Bei allen Patient*innen mit symptomatischer COVID-19-Infektion wurden Alter, Geschlecht, Erkrankungsverlauf und Migrationshintergrund erhoben. Der zeitliche Verlauf der verschiedenen Pandemiewellen wurde beobachtet, Korrelationen zwischen Migrationshintergrund sowie regionalem Durchschnittseinkommen und Inzidenz wurden berechnet. Ergebnisse: 448 symptomatische Patient*innen wurden erfasst. Die Inzidenz nachgewiesener COVID-Infektionen lag in den Praxen durchschnittlich bei 26,9/1000 Patient*innen im Quartal, das Alter bei 42,4 Jahren, der Frauenanteil bei 50,9 %. 44,2 % der Patient*innen hatten einen Migrationshintergrund. Hierbei, wie bei der Praxis-Inzidenz, war eine starke Streuung unter den Praxen zu beobachten. Es fand sich ein hoch signifikanter Zusammenhang zwischen regionalem Durchschnittseinkommen und Migrationshintergrund auf der einen und der Praxis-Inzidenz auf der anderen Seite - je niedriger das Einkommen war und je häufiger eine Migrationsgeschichte vorlag, umso höherdie Inzidenz. Schlussfolgerungen: In der vorliegenden retrospektiven Erfassung konnte auch in Deutschland eine starke Assoziation zwischen Durchschnittseinkommen und Migrationshintergrund mit der Inzidenz symptomatischer COVID-19-Erkrankungen dokumentiert werden. In der Konsequenz sind spezifische Interventionen in den betroffenen Stadtteilen zur Verringerung der Krankheitslast gefragt.

Die Anzahl der Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, ist seit 2003 auf beinahe die Hälfte gesunken. Zeitgleich ist auch die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in den letzten 20 Jahren deutlich gesunken. Allerdings gibt es erhebliche regionale Unterschiede und Versorgungslücken. Sowohl mangelnde Verankerung von Schwangerschaftsabbrüchen in Aus- und Weiterbildung als auch hoher administrativer Aufwand sind Herausforderungen für die Versorgung. Die gesetzlichen Einschränkungen sorgen für weitere Verunsicherung. Medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche stellen eine gleichwertige Alternative zu chirurgischen Methoden dar. Die Durchführung des medikamentösen Schwangerschaftsabbruchs auch durch nicht spezialisierte Ärzt*innen in der Primärversorgung wird von der WHO empfohlen und in anderen europäischen Ländern bereits erfolgreich umgesetzt. In Deutschland wird der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch hingegen selten angeboten, obwohl dies den flächendeckenden Zugang zu niedrigschwelligen Schwangerschaftsabbrüchen erheblich erleichtern könnte. Vor diesem Hintergrund sollten Versorgungslücken fachübergreifend adressiert werden, um Gynäkolog*innen wie Allgemeinärzt*innen bei der gemeinsamen, niedrigschwelligen Versorgung ihrer Patientinnen zu unterstützen.

Hintergrund: Neue antihyperglykämische Substanzen haben die therapeutischen Optionen für die Therapie eines Diabetes erweitert. Zugleich weisen Routinedaten auf Überdiagnostik und -therapie hin. Die letzten nationalen Empfehlungen für Diagnose und Therapie des Typ-2-Diabetes (NVL-Diabetes) stammten aus dem Jahr 2013 und bedurften einer Überarbeitung. Suchmethodik: Die wesentlichen Ergebnisse der aktualisierten Nationalen VersorgungsLeitlinie Diabetes Typ-2-Diabetes werden dargestellt. Hintergrund ist eine durch das Ärztliche Zentrum für Qualität durchgeführte systematischen Evidenz-Recherche zu besonderen Fragestellungen. Wichtigste Botschaften: Metformin bleibt Medikament der ersten Wahl. Zwei neue Substanzgruppen, SGLT2-Hemmer und GLP-1-Analoga, erhalten einen eigenen Stellenwert. Nicht vereinbare Sichtweisen zwischen den einzelnen Fachgesellschaften werden nicht mehr — wie in der Vorversion aus 2013 — nebeneinander dargestellt, sondern in zusätzlichen Anwenderversionen der Fachgesellschaften von diesen erläutert. Die DEGAM-Anwenderversion empfiehlt bei kardiovaskulär Gesunden die Kombination von Metformin mit Glibenclamid. DPP4-Hemmer und Insulin-Analoga haben nur einen geringen Stellenwert. Empagliflozin und Liraglutid werden bei kardiovaskulär Vorerkrankten empfohlen, wenn das individuelle HbA1c-Ziel nicht erreicht wird. Schlussfolgerungen: Die neue Nationale VersorgungsLeitlinie Diabetes und konkret die DEGAM-Anwenderversion geben eine Chance zum Abbau von Über-, Unter- und Fehlversorgung.

Hintergrund: Typ-2-Diabetes wird in Deutschland mit einer Prävalenz von über 7 % häufig diagnostiziert, wenngleich es Hinweise auf eine rückläufige Inzidenz gibt. Der überwiegende Teil der von Hausärzt*innen betreuten Menschen mit Diabetes ist über 65 Jahre alt, ein Drittel sogar älter als 75 Jahre. Neue antihypergly-kämische Substanzen haben die therapeutischen Optionen erweitert. Zugleich weisen Routinedaten auf Überdiagnostik und -therapie hin. Die letzten nationalen Empfehlungen für Diagnose und Therapie des Typ-2-Diabetes (NVL-Diabetes) stammten aus dem Jahr 2013 und bedurften einer Überarbeitung. Suchmethodik: Die wesentlichen Ergebnisse der aktualisierten Nationalen VersorgungsLeitlinie Typ-2-Diabetes werden dargestellt. Hintergrund sind mehrere durch das Ärztliche Zentrum für Qualität durchgeführte systematische Evidenzrecherchen. Wichtigste Botschaften: Die NVL betont insbesondere die folgenden Punkte: 1) Unabhängig von Laborwerten soll die Lebenswirklichkeit der Patient*innen in die Entscheidung über eine antihypergly-kämische Therapie mit einbezogen werden. 2) In bestimmten Situationen soll über eine Deeskalation der Therapie nachgedacht werden. 3) Die zwischen den einzelnen Fachgesellschaften nicht zu vereinbarende Sichtweisen werden nicht mehr — wie in der Vorversion aus 2013 — nebeneinander dargestellt, sondern in zusätzlichen Anwenderversionen der Fachgesellschaften von diesen präzisiert und erläutert. 4) Die DEGAM-Anwenderversion empfiehlt eine medikamentöse HbA1c-Senkung nur auf 7,0–8,0 %, bei über 70-Jährigen sollten die Werte nicht dauerhaft über 8,5 % liegen. Schlussfolgerungen: Die neue Nationale VersorgungsLeitlinie Diabetes und konkret die DEGAM-Anwenderversion geben eine Chance zum Abbau von Über-, Unter- und Fehlversorgung.

Die S3-Leitlinie „Prävention von Hautkrebs” wurde unter Beteiligung der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) aktualisiert. In Deutschland wird seit 2008 ein Hautkrebsscreening für Erwachsene ab 35 Jahre alle zwei Jahre angeboten. Ziel dieses Artikels ist es, die wichtigsten Inhalte der Leitlinie für Hausärztinnen und Hausärzte zusammenzufassen und das erneute Sondervotum der DEGAM zu zentralen Empfehlungen zum Hautkrebsscreening darzustellen. Die Studienlage zum nicht nachgewiesenen Nutzen des Hautkrebsscreenings ist unverändert. Es kam seit der Einführung des Hautkrebsscreenings zu keiner Abnahme der Mortalität am Malignen Melanom. Patient*innen, die ein Hautkrebsscreening wünschen, sollten über den unsicheren Nutzen im Vergleich zu einer anlassbezogenen Untersuchung und möglichen Nachteilen fair aufgeklärt werden.

Wegen der Corona-Pandemie mussten alle Präsenz-Fortbildungen abgesagt werden, so auch die Woche der praktischen Medizin auf Langeoog. Ein Teil der Referierenden ließ sich aber, sobald es wieder möglich war, nicht davon abhalten, auf die Insel zu fahren. Bei teils kräftigem Wind, glücklicherweise ohne Regen, fanden täglich vor- und nachmittags Fortbildungstreffen in einer Strandkorbrunde statt — pandemiegerecht mit gebotenem Abstand zueinander und an der frischen Nordseeluft. Die Referierenden sind Hausärzte und Hausärztinnen, zum Teil mit akademischer Tätigkeit. Thematisch ging es unter anderem um die persönlichen Erfahrungen mit der Corona-Pandemie, um Diagnostik und Behandlung von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, Diabetes mellitus, posttraumatische Belastungsstörungen, Insektenstiche, um Denkfehler und Verzerrungen in der Medizin und deren Auswirkung auf das hauärztliche Denken und Handeln. Aus der Not geboren musste eine interaktive, auf Folienvorträge verzichtende Didaktik gewählt werden. Die Teilnehmenden bewerteten dies als eine intensive Erfahrung. Dieses Beispiel zeigt, dass selbst unter widrigen Bedingungen eine hochwertige hausärztliche Fortbildung abgehalten werden kann.

Hintergrund: Seit 2004 gibt es in Deutschland Tage der Allgemeinmedizin (TdA) als spezifisches hausärztliches Fortbildungsformat. Die DEGAM-Sektion Fortbildung formulierte 2008 dafür entsprechende Anforderungen. Inzwischen gibt es TdA an 17 universitären Standorten in Deutschland. Mit der durchgeführten Erhebung sollte die Frage beantwortet werden, ob die Anforderungen für die TdA umgesetzt werden bzw. überhaupt umsetzbar sind. Methoden: Befragt wurden alle allgemeinmedizinischen Universitätsabteilungen, die TdA anbieten. Neben der Zahl Referentinnen und Teilnehmerinnen* wurde nach Teilnahmegebühren und Referenten-Honoraren, nach dem Anteil Hausärztinnen an Referentinnen und Moderatorinnen, Finanzierung und Sponsoring der TdA gefragt. Die Auswertung erfolgte mit Excel. Ergebnisse: Die Zahl der Teilnehmenden wie auch der Referierenden divergiert erheblich, ebenso die Referentinnen-Honorare. Die Anzahl der teilnehmenden Ärztinnen divergiert deutlich zwischen 40 und 250 und liegt im Mittel bei 94 (Median 83). Im Jahr 2019 nahmen insgesamt 1599 Ärztinnen und 954 MFA an TdA teil. An der Hälfte der Standorte sind bei weniger als einem Drittel der Veranstaltungen hausärztliche Referentinnen im Einsatz. Nicht überall können Medizinische Fachangestellte (MFA) teilnehmen. Nur fehlendes Sponsoring durch pharmazeutische Unternehmen eint alle 17 TdA. Schlussfolgerungen: Es ist noch ein weiter Weg, die TdA in Anlehnung an die DEGAM-Kriterien weiterzuentwickeln.

Hintergrund: Mit der zunehmenden Zahl verfügbarer Thrombozytenaggre-gationshemmer ist die Unsicherheit von Hausärztinnen und Hausärzten gestiegen, welche Substanz wann zu bevorzugen ist. Zugleich besteht häufig die Sorge vor möglichen Blutungskomplikationen. Und die deutlich höheren Preise der neuen Substanzen geben Anlass zu der Befürchtung, dass sie zur Belastung für das hausärztliche Medikamenten-Budget werden könnten. Suchmethodik: Systematische Recherchen in Medline und Cochrane zur Dauer einer doppelten Plättchenhemmung nach beschichtetem Stent und nach Schlaganfall, zu Prasugrel, Ticagrelor, Triple-Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten oder NOAK und zu Thrombozytenfunktionstests. Es wird das Ergebnis der Aktualisierung der DEGAM-S2e-Leitlinie vorgestellt. Wichtigste Botschaften: Zunächst soll unterschieden werden zwischen stabiler KHK und akutem Koronarsyndrom. Bei stabiler KHK reicht eine doppelte Plättchenhemmung für drei bis sechs Monate. Bei akutem Koronarsyndrom sollte Ticagrelor für ein Jahr zusätzlich zu ASS gegeben werden. Nach Schlaganfall sollte drei Wochen lang Clopidogrel zu ASS hinzugefügt werden. Bei gleichzeitiger Notwendigkeit einer Antikoagulation sollte bei akutem Ko-ronarsyndrom sechs Monate lang eine Triple-Therapie mit Phenprocoumon, ASS und Clopidogrel gegeben werden, von Monat sechs bis zwölf nur Clopidogrel und Phenprocoumon — danach nur noch Phenprocoumon. Nach beschichtetem Stent kann bei stabiler KHK die Dauer der Triple-Therapie je nach Stent-Beschichtung auf ein bis sechs Monate verkürzt werden. NOAK werden ebenso wenig empfohlen wie Thrombozyten-funktionstests. Schlussfolgerungen: Ein nach zugrunde liegender Krankheit und Stent-Beschichtung differenzierendes Vorgehen hilft, Blutungskomplikationen zu verringern. Die Konzentration auf wenige empfohlene Substanzen macht die Situation für Hausärztinnen und Hausärzte übersichtlicher und hilft, das Budget zu schonen.

Hintergrund: Unter den chronischen Krankheiten stellt eine Demenz besondere Anforderungen an die Beziehung zwischen Hausärzten und Hausärztinnen (HA) und Patienten und Patientinnen (PA) und erfordert langfristig die Kooperation mit pflegenden und begleitenden Angehörigen. Individuelle Bedürfnisse und (Be-)Handlungspläne können durch einen Bilanzierungsdialog (BD) neu ausgelotet werden, ein dem Erstgespräch ähnliches Format, das sich in der Langzeitversorgung von Menschen mit chronischer Krankheit bereits bewährt hat. Methoden: Die Pilotierung des BD durch den Hausarzt (HA) mit einem dementen Patienten (PA) und dessen Ehefrau ging der Frage nach, inwieweit ein BD bei der hausärztlichen Begleitung von Demenzkranken hilfreich sein kann. Die Auswertung der sequenziellen Analyse des videodokumentierten Gesprächs diskutierten HA und Forscher gemeinsam. Ergebnisse: Durch das trialogisch (Trialog: gleichberechtigtes Gespräch dreier Gruppen) geführte Bilanzierungsgespräch (tB) wird der Lebensweltkontext des PA sichtbar, zwischen PA und Ehefrau wurden zentrale Beziehungsaspekte reinszeniert und implizite, biografische, auch über den Krankheitskontext hinaus wirksame Themen traten hervor. Im gemeinsamen Feedbackgespräch über das tB wurde der Stellenwert der erlebten und handlungswirksamen Anamnese des HA verdeutlicht. Dies führte bei Forschern und HA zu einem tieferen Fallverständnis. Schlussfolgerungen: Das Konzept BD birgt Potenzial zur Auslotung der Anforderungen an die HA-PA-Beziehung im Hinblick auf die für Demenz typische Gesprächskonstellation zu dritt unter Begleitung von PA durch eine ihrer Bezugspersonen. Aufgrund der drohenden Entindividualisierung der an Demenz erkrankten Menschen im Krankheitsverlauf ist fallspezifisch zu prüfen, welche Modifikationen bei der Umsetzung des BD ggf. erforderlich sind.

Hintergrund: Der Anteil der verordneten Insulinanaloga hat sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt und ist auf einen Anteil von 69% am Volumen aller Insulinverordnungen gestiegen. Die Frage stellt sich, ob es gute Argumente für ein solches Verordnungsverhalten gibt. Suchmethodik: Recherche in Medline und Cochrane zu Insulinanaloga. Wichtigste Botschaften: Kurz wirkende Analoga haben einen schnelleren Wirkbeginn und wirken meist kürzer als Normalinsulin. Die Wirkung lang wirkender Analoga hält länger an als die eines NPH-Insulins. Belege für einen Nutzen von Insulinanaloga hinsichtlich klinisch relevanter Endpunkte gibt es nicht. Auch hinsichtlich intermediärer Endpunkte konnte kein Vorteil belegt werden. Für Normalinsulin ist ein Spritz-Ess-Abstand nicht erforderlich. Die Reduktion nächtlicher Hypoglykämien um knapp 20% (relative Reduktion) ist bei Normalinsulin nur dann relevant, wenn zu niedrige HbA1c-Ziele verfolgt werden. Schwere Hypoglykämien sind gleich häufig. Schlussfolgerungen: Bis auf wenige spezielle Gruppen von Personen mit Typ-1-Diabetes haben Insulinanaloga kaum einen Stellenwert, ihre Verordnung ist in den meisten Fällen unwirtschaftlich.

Hintergrund: Die Zahl der Diabetes-Diagnosen in Deutschland steigt. Bei den Verordnungszahlen haben DPP4-Inhibitoren mittlerweile in Deutschland die Sulfonylharnstoffe überholt, darunter vorrangig Sitagliptin. Die Frage stellt sich, ob es gute Argumente für ein solches Verordnungsverhalten gibt. Suchmethodik: Selektive Literaturrecherche zu den Themen Diabetes-Prävalenz, -Folgeerkrankungen sowie -Therapie; Recherche in Medline und Cochrane zu Sitagliptin. Wichtigste Botschaften: Diabetes ist ein bedeutsames Gesundheitsproblem in Deutschland. Für Sitagliptin konnte kein Nutzen-Nachweis hinsichtlich der Senkung relevanter Endpunkte erbracht werden. Entsprechende Studien existieren dagegen für die deutlich preiswerteren Sulfonylharnstoffe Glibenclamid und Gliclazid. Trotz fehlender Belege für einen Nutzen von Sitagliptin im Sinn patientenrelevanter Endpunkte kann eine diesbezügliche Nutzlosigkeit mit der vorliegenden Literatur allerdings auch nicht belegt werden. Schlussfolgerungen: Sitagliptin hat in der Behandlung von Menschen mit Typ-2-Diabetes keinen Stellenwert. Allenfalls für Menschen mit Diabetes und fortgeschrittener Niereninsuffizienz kann Sitagliptin eine Option sein, wenn Insulin kategorisch abgelehnt wird oder aus anderen Gründen nicht in Frage kommt.

Seit 1989 existiert in Deutschland die Gesundheitsuntersuchung (GU) nach §25 SGB V. Die im Rahmen dieser Vorsorgemaßnahme durchzuführenden Untersuchungen sind in der Gesundheitsuntersuchungs-Richtlinie (GU-RL) gesetzlich festgeschrieben. Seinerzeit war der Einführung dieses Präventionsinstrumentes keine systematische Evidenzrecherche vorangegangen. Mit dem Präventionsgesetz von 2015 erhielt der Gemeinsame Bundesausschuss die Aufgabe, eine Anpassung der Gesundheitsuntersuchung an den aktuellen Stand des Wissens und auf Grundlage der evidenzbasierten Medizin vorzunehmen. Zugleich erforderten die gesetzlichen Vorgaben eine Absenkung des Teilnahmealters auf 18 Jahre. Wie andere Fachgesellschaften nutzte die DEGAM die Möglichkeit, im Rahmen des Anhörungsverfahrens eine Stellungnahme abzugeben. Die DEGAM begrüßt, dass es bei den unter 35-Jährigen keine routinemäßig durchgeführten Laboruntersuchungen geben wird und dass anamnestische Fragen den Vorrang vor technischen Untersuchungen bekommen sollen. Die Erweiterung um die Bestimmung des HDL erleichtert die Beratung zum kardiovaskulären Risiko. Mit der Überarbeitung der GU-Richtlinie bestand erstmalig die Gelegenheit, gewissermaßen nachholend die Ausgestaltung der Gesundheitsuntersuchung stärker an die vorhandene Evidenz anzupassen. Bedauerlicherweise wurde dieser Spielraum kaum genutzt. Der vorliegende Artikel soll den Hausärztinnen und Hausärzten nicht nur die neue Richtlinie des G-BA zur Überarbeitung der GU, sondern die teils erhebliche Kritik der DEGAM daran bekannt machen.

Im Zusammenhang mit kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen und Mittleren Osten sind Hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. In den Hausarztpraxen gibt es Unsicherheiten, welche medizinischen Angebote sinnvoll sind und wie sie vergütet werden. Dieser Artikel gibt Auskunft über sinnvolle medizinischen Untersuchungen und Behandlungen und erklärt, wo der Hausarzt* rasch Informationen finden kann. Der vorherige Artikel (Teil 1: Politische und juristische Rahmenbedingungen) vermittelte einen Überblick darüber, aus welchen Gegenden die Menschen geflohen sind, welchen Status sie innehaben und wie die medizinische Versorgung gesetzlich geregelt ist.

Vor dem Hintergrund eines in Deutschland drohenden Hausarztmangels wird eine Delegation hausärztlicher Leistungen an nichtärztliche Praxismitarbeiterinnen diskutiert. Es wird befürchtet, dass dies zu einer Aushöhlung der professionellen Identität der Hausärzte* und zu einem Bedeutungsverlust der Hausärzteschaft in der deutschen Versorgungslandschaft führen könnte. Um Vorbehalte abzubauen und gemeinsam Strategien zur Delegation zu erarbeiten, trafen sich Hausärzte und MFA aus Bremen und Umgebung zu einem interprofessionellen Workshop im Rahmen eines allgemeinmedizinischen Seminars. Dabei wurden Inhalte, Abläufe sowie Grenzen der Delegierbarkeit hausärztlicher Leistungen definiert. Am „banalen Fall” Gastroenteritis entstand beispielhaft ein Behandlungspfad für eine MFA-Sprechstunde. Eine Delegation umschriebener hausärztlicher Leistungen an MFA ist möglich und birgt das Potenzial, die hausärztliche Versorgung zu verbessern – vorausgesetzt, die MFA werden entsprechend geschult und es existieren gut ausgearbeitete Standards mit klarer Definition und Schnittstellen zur ärztlichen Versorgung.

Ein hausärztlicher Qualitätszirkel beschäftigt sich mit der Frage, welche Impfungen Patienten ohne funktionsfähige Milz benötigen. Beim Versuch, systematisch alle diese Patienten in den Praxen zu identifizieren, stoßen die beteiligten Hausärztinnen und -ärzte auf erhebliche Schwierigkeiten. Solche Schwierigkeiten sind vermutlich ein Problem für jede Art von Praxisforschung.

In den kommenden Jahren werden der Anteil und die Zahl von alten, kranken und multimorbiden Menschen in der Bevölkerung erheblich ansteigen. Das erfordert eine funktionierende, hausärztlich koordinierte Primärversorgung. Diese bietet: einen zeitnahen, flächendeckenden und niedrigschwelligen Zugang,weniger Notfall-/Krankenhausbehandlungen,bessere Versorgungsqualität, gesteigerte Lebenserwartung und besseren Gesundheitszustand der Bevölkerunghöhere Zufriedenheit von Patienten und Ärzten,niedrigere Gesundheitsausgaben trotz zunehmender Komplexität.

Kardiovaskuläre Erkrankungen sind trotz fallender Tendenz weiterhin die häufigste Todesursache in Deutschland. Bei der Entstehung wirken meist mehrere Risikofaktoren zusammen. Durch eine gemeinsame Bewertung der verschiedenen Risikofaktoren wird eine Überschätzung einzelner Risiken vermieden und das tatsächliche Erkrankungsrisiko am besten abgebildet. Um Hausärzten eine Leitlinie für die Risikoeinschätzung und Beratung zu geben, fand sich im Jahr 2002 eine DEGAM-Autorengruppe zusammen, die nach 15 Jahren das Ergebnis ihrer Arbeit präsentiert. Zudem verleiht sie den Sondervoten von DEGAM-Vertretern bei interdisziplinären und Nationalen Versorgungsleitlinien einen gemeinsamen Rahmen. Diese Sondervoten bezogen sich auf die folgenden DEGAM-Positionen: Diabetes ist nicht per se automatisch Risiko-Äquivalent für eine KHK und stellt keine automatische Indikation zur Statin-Therapie dar.Die Mikroalbumin-Bestimmung bei Typ-2-Diabetes ist nicht routinemäßig zu empfehlen.arribasoll als Risiko-Kalkulator und -Beratungsinstrument in der hausärztlichen Praxis eingesetzt werden.Eine Statin-Behandlung sollte in fixer Dosis durchgeführt werden, weitere Kontrollen von Cholesterin oder LDL sind dabei nicht erforderlich.Eine Kombination verschiedener lipidsenkender Behandlungen sollte nicht erfolgen.

Hintergrund: Ärzte und Patienten mit „schlecht eingestelltem“ Diabetes Typ 2 (HbA1c> 9 %*) wurden für den Zeitraum vom 1. Quartal 2013 bis zum 1. Quartal 2015 in einer in der ZFA publizierten Studie untersucht. Ein weiteres Jahr nach Abschluss dieser Studie entschieden die damaligen Studienärzte, ohne dass dies vorher geplant war, dass sie den weiteren Verlauf bei diesen Patienten vom 2. Quartal 2015 bis zum 2. Quartal 2016 analysieren wollten. Methoden: Retrospektive, vorher nicht geplante Dokumentation mit einem dazu entwickelten Dokumentationsbogen zu den in der ersten Studie eingeschlossenen Patienten sowie zu den ärztlichen Maßnahmen nach Abschluss der ersten Studie. Ergebnisse: 14 der ursprünglich 19 teilnehmenden Ärzte nahmen an der jetzigen Studie teil und dokumentierten die verbleibenden 100 Patienten. Bei einem Drittel der Patienten, die ursprünglich in 2013 alle ein HbA1cvon > 9 gehabt hatten, kam es über die Gesamtzeit von 2013 bis zum 2. Quartal 2016, also einschließlich der hier jetzt analysierten Untersuchungszeit, zum Erreichen eines HbA1cvon ≤ 7,5. Ein weiteres knappes Drittel lag zwischen > 7,5 und < 9, ein letztes Drittel verblieb bei > 9. Dabei kam es bei einem Drittel der Patienten auch noch nach Abschluss der ersten Studie zu deutlichen Verbesserungen. Kaum ein Patient wurde „schlechter eingestellt“ als zum Zeitpunkt des Endes der ersten Studie. Nur ein Fünftel der Patienten wurde erneut zu einer Schwerpunktpraxis überwiesen. Der Erfolg einer HbA1c-Senkung dort war ähnlich wie bei ausschließlich durch Hausärzte betreuten Patienten. Schlussfolgerungen: Auch ohne gezielte Intervention, allein über die Teilnahme an einer Studie mit Analyse der eigenen Patienten, kann es zu einer deutlichen Verbesserung des HbA1c-Wertes bei Diabetes-Patienten mit „schlechter Einstellung“ kommen – ein Effekt, der aus der Qualitätszirkelarbeit bekannt ist.

Hintergrund: Die Therapie des Diabetes ist leicht und in Leitlinien vorgegeben. Dennoch gelten viele Patienten als „schlecht eingestellt“. Methoden: 19 Hausärzte analysierten mittels Fragebogen alle Patienten mit Typ-2-Diabetes, die im I. Quartal 2013 „schlecht eingestellt“ waren (HbA1c> 9%). Sie gaben retrospektiv an, was sie bis I/2015 mit dem Ziel einer Verbesserung der Stoffwechselkontrolle unternommen hatten, mit welchem Ergebnis und aus welchen Gründen für eine Veränderung der Stoffwechsellage. Ergebnisse: 168 Patienten hatten eine „schlechte Einstellung“: In einem Drittel der Praxen waren 8–15% aller Diabetiker „schlecht eingestellt“ und nur zwei Praxen berichteten von weniger als 2% „schlecht eingestellter“ Patienten. Von allen ursprünglich „schlecht eingestellten Patienten“ waren nach zwei Jahren noch 43% „schlecht eingestellt“; mit sehr unterschiedlicher Verteilung zwischen den Praxen. Zum Einsatz kamen in fast allen Praxen nur Metformin, Sulfonylharnstoffe und Insulin. Bei zehn Praxen wurde bei 0–20% der Patienten ein Wechsel der antidiabetischen Medikation vorgenommen. Bei einem Viertel der Patienten wurden eine erneute Schulung, bei einem Drittel „längere Gespräche“ eingesetzt. Gründe für eine Unterlassung dieser Maßnahmen waren: „Patient will nicht“ oder „es hat keinen Sinn“. Häufige Erklärungen für das Verbleiben in „schlechter Einstellung“ waren: „andere Probleme und Präferenzen des Patienten“, „der Patient versteht mich nicht“ bzw. „der Diabetes selbst“. Schlussfolgerungen: Wir sollten zwar immer aufs Neue Anstrengungen unternehmen, Patienten mit schlechter Stoffwechselkontrolle zu einer „besseren Einstellung“ zu bringen, müssen aber akzeptieren, dass für nicht wenige Patienten andere Zielsetzungen möglicherweise bedeutsamer sind.