1. Als Rechtshistoriker und Rechtswissenschaftler, der die juristische und politisch-kulturelle Realitat in Hispanoamerika mit offenen Augen verfolgt, mag man mit Freude an Studien zum Konstitutionalismus arbeiten; mir scheinen freilich besonders jene sehr wichtig, die jenseits von dogmatischem Stil und Apologetik mit dem allgemeinen Konformismus brechen und den Versuch wagen, die Realitat hinter dem institutionellen Schein zu verstehen und die Fehlschlage des Nationalstaates oder, direkter noch, die Enttauschung der Erwartungen der Unabhangigkeitsbewegungen bei der Schaffung einer modernen institutionellen Organisation zu erklaren. Bartolome Clavero, um an einen unter vielen zu erinnern, hat sich in diesem Zusammenhang voller Intuition und Beklemmung auf die »konstitutionellen Verpflanzungen und Zuruckweisungen« bezogen, die seiner Ansicht nach »den Beweis fur ein Scheitern« darstellen und gleichzeitig »Zeugnis einer Sturheit« ablegen. Als Rechtshistoriker muss ich darauf hinweisen, dass beim Studium des hispanoamerikanischen Konstitutionalismus von der Untersuchung der historischen hispanoamerikanischen Verfassung auszugehen ist, von der hispanischen Verfassung vor den Unabhangigkeiten, um dann zu ergrunden, inwiefern der Konstitutionalismus ihre Kontinuitat und/oder Zerstorung bedeutete; denn dort liegen die Ursprunge der revolutionaren Prozesse unserer Unabhangigkeiten. Der Historiker darf sich auch nicht an einem Moment, dem Ursprung beispielsweise, festhalten, sondern er muss die historischen Transformationen der Staaten und Nationen, die aus jenen revolutionaren Unabhangigkeitsprozessen entstanden sind, verfolgen und die formale Verfassung mit den jeweiligen Realitaten im Einzelfall vergleichen. Und schlieslich muss der Historiker den Blick auf die Zukunft richten, um einen Beitrag zur Losung der endemischen Krise in Hispanoamerika leisten zu konnen. Das heist, es bedarf eines umfassenden historischen Wissens und einer besonderen juristisch-politischen Perspektive, um sich nicht vom symbolischen Wert einiger Worter tauschen zu lassen oder um nicht in der Gegenwart oder im Zauber der Vergangenheit gefangen zu bleiben.