Erwin Guido Kolbenheyer, besonders vor 1945 vielgelesener Autor des deutschen Bildungsburgertums, schrieb eine Reihe von Romanen um Gestalten aus dem historischen Kontext der Mystik. Neben “Das gottgelobte Herz” (1938), das die Lebensgeschichte der Mystikerin Margarethe Ebner erzahlt, sind zu nennen “Amor Dei” (1908/1937), ein Spinoza-Roman, “Meister Joachim Pausewang: Ein Roman aus der Zeit Jakob Bohmes” (1910) und die “Paracelsus”-Trilogie (1917/1922/1925). Die Berucksichtigung des historisierenden und nazistisch verdachtigen Kolbenheyer innerhalb eines Kanons, der Probleme der Moderne reflektiert, mag zunachst befremden, legitimiert sich aber aus dem Grundzug des Kolbenheyerschen Mystikver-standnisses, dem Versuch, einen neuen Sinnhorizont aus der materialen Ebene des Korperhaft-Naturlichen zu gewinnen, der auch — mehr oder weniger offenkundig — die Texte der anderen behandelten Autoren kennzeichnet. Zu denken ist vor allem an Rilke und Handke, die beide eine unmittelbare Sinnhaftigkeit des sinnlich Erfahrbaren intendieren. Nur wird bei ihnen das mystische Modell der unahnlichen Ahnlichkeit nicht einseitig zugunsten der Erfahrungsweise der Ahnlichkeit ausgelegt; gleichermasen wichtig ist die Erfahrung der Unahnlichkeit, die mit dem Modus des Ahnlichen vermittelt wird, um auf diese Weise den idealen Ort der Einheit zu entwerfen. Wahrend sich die mystische Erfahrung bei Musil auf der Ebene der Reflexion, und d.h. der Unahnlichkeit, darstellt — oder eben nicht darstellt —, reprasentiert Kolbenheyer die andere Extremposition: Die Ahnlichkeit von Natur und Korper wird zum Garanten unmittelbarer Sinnerfahrung, stost aber allenthalben auf die eigene Aporie. Die Beliebtheit Kolbenheyers im burgerlichen Milieu ist moglicherweise nicht zuletzt auf eben diese Pravalenz der mit ideellen Anspruchen versetzten Sinnlichkeit zuruckzufuhren. Die intendierte Engfuhrung von Korper und Geist weist auf ein wesentliches Moment im modernen Rezeptionshorizont der Mystik hin: Der Verlust eines festgefugten Weltbildes lenkt notwendig den Blick auf das Gegebene, die Natur, die Materie, die Dinge. Insofern fugt sich Kolbenheyer nahtlos in eine Reihe von Autoren, die im Kontext des modernen mystischen Paradigmas ebenfalls an die Wahrnehmung des Ahnlichen appellieren wie etwa Rosenberg oder auch Bloch. Es zeigt sich, das der konservative Kolbenheyer an den Fragen der Moderne partizipiert; kunstlerische Moderne und trivial-literarische Reaktion verlieren in dieser Perspektive ihren Oppositionscharakter. Ein kurzer Blick auf Kolbenheyers metaphysisches Weltbild verstarkt diesen Eindruck.