Das Buch widmet sich der Erforschung von ‚lyrischen Selbstentwürfen‘, also lyrischen Texten, die Textmerkmale aufweisen, auf Grund derer LeserInnen mit guten Gründen annehmen können, dass diese eine literarische Selbstthematisierung ihres Verfassers oder ihrer Verfasserin darstellen. Verschiedene literaturwissenschaftliche Grundannahmen – insbesondere der konventionalisierte Anspruch, ‚lyrisches Ich‘ und AutorIn streng zu unterscheiden – haben eine umfängliche Auseinandersetzung mit ihnen bis in die Gegenwart erschwert. Ausgehend von Widersprüchen, Inkonsistenzen oder Leerstellen bisheriger Interpretationspraktiken und theoretischer Konzepte zielt die Studie darauf, eine Theorie des lyrischen Selbstentwurfs auszuarbeiten und hierdurch lyrische Werke, die eine Referenz auf ihren Autor oder ihre Autorin anbieten, stärker in das Bewusstsein der Literaturwissenschaft zu rücken und als eigene Textsorte klarer zu konturieren. Aus diesen Zielsetzungen folgt der zweiteilige Aufbau der Untersuchung: Teil I unterwirft etablierte Praktiken, Theorien und Begriffe einer kritischen Revision, Teil II schließt auf Basis der erfolgten Bestandsaufnahme ausgemachte konzeptuelle Lücken, entwickelt ergänzende Analysebegriffe, zeigt ihre Verwendungsmöglichkeiten an konkreten Beispielen auf und bindet die zunächst abstrakt bleibenden Ausführungen an konkrete Texte zurück, wodurch zugleich die Vielfalt der existierenden Erscheinungsformen der betrachteten Gattung veranschaulicht wird. Damit ist die Arbeit vor allem als literaturtheoretische Grundlagenforschung einzuordnen, liefert darüber hinaus aber auch Interpretationen exemplarischer Textbeispiele (u.a. von Oswald von Wolkenstein, Goethe, Droste-Hülshoff, Brecht, Rilke, Jandl, Mayröcker, Jan Wagner). Die kritischen, forschungsgeschichtlich und praxeologisch perspektivierten Fragen fokussieren sich unter anderem auf die Begriffe des „lyrischen Ichs“, des „Sprechers“, des „abstrakten Autors“, auf bisherige Versuche einer Positionsbestimmung der Lyrik zwischen Fiktionalität und Faktualität und auf die Marginalisierung der Lyrik innerhalb der Autobiographieforschung.