Die vorliegende Forschungsarbeit untersucht die Bedeutung von Fremdzuschreibungen und wahrnehmungen für die Selbstverständnisse von Müttern und Vätern mit sogenannten Lernschwierigkeiten in Österreich. Menschen mit Lernschwierigkeiten sind Personen, denen eine (‚geistige‘) Behinderung zugeschrieben wird und die aufgrund von diversen gesellschaftlichen Barrieren Behinderungen erfahren. Die (Selbst )Bezeichnung als Menschen mit Lernschwierigkeiten entspricht der Forderung der Selbstvertretung nach einem weniger diskriminierenden Begriff. Behinderung als Abweichung von gesellschaftlichen Normalitätsvorstellungen wird in und durch verschiedene Diskurse erzeugt und ist auf den ersten Blick nicht mit den dominierenden Entwürfen von Mutter- und Vaterschaft sowie familialer Leistungs- und Funktionsfähigkeit vereinbar.Der internationale Forschungsstand zeigt, dass viele Eltern mit Lernschwierigkeiten aufgrund von pauschalen Unfähigkeitszuschreibungen von Interventionen der Kinder- und Jugendhilfe betroffen sind. Eltern mit Lernschwierigkeiten und ihre Familien sind aufgrund der Wirkmächtigkeit der Zuschreibung von Lernschwierigkeiten mit zahlreichen spezifischen Herausforderungen konfrontiert. In Österreich existierte bislang keine umfassende Forschung über Elternschaft mit Lernschwierigkeiten und in der Praxis mangelt es an der menschenrechtsorientierten Umsetzung von Unterstützungsformen für Mütter und Väter mit Lernschwierigkeiten und ihre Kinder.Orientiert an der Gesellschafts- und Machtkritik der Disability Studies, verfolgt diese Arbeit einen emanzipatorisch-partizipativen Zugang, der die Nähe wissenschaftlicher Analysen zu den Interessen und Positionen behinderter Menschen gewährleistet. Die spezifischen Erkenntnisinteressen der Forschungsarbeit umfassen gesellschaftliche Verhandlungen von Elternschaft und Behinderung in sogenannten Internetnewsgroups, Wahrnehmungen und Handlungsorientierungen von Fachkräften in der Sozialen Arbeit (die Eltern mit Lernschwierigkeiten unterstützen) und die Selbstverständnisse und Erfahrungsweisen von Müttern und Vätern mit Lernschwierigkeiten.Metatheoretischer Bezugspunkt für die Methodologie der vorliegenden Studie ist eine Hermeneutik des Verstehens. Basierend auf diskurstheoretischen Überlegungen der hermeneutischen Wissenssoziologie, wurden Internetnewsgroups analysiert, wodurch Einblicke in Erwartungen und Normen in Bezug auf Elternschaft und Behinderung gewonnen wurden. Interviews mit Fachkräften in der Sozialen Arbeit wurden durchgeführt und zusammen mit einer Referenzgruppe, bestehend aus Eltern mit Lernschwierigkeiten, in einem partizipativen Verfahren analysiert. Mütter und Väter mit Lernschwierigkeiten wurden interviewt und die Interviews hermeneutisch-phänomenologisch analysiert. Zuschreibungen, Fremdwahrnehmungen und Selbstverständnisse betreffend Elternschaft mit Lernschwierigkeiten wurden schließlich im Zuge einer theoretischen Diskussion zusammengeführt.Die Forschungsergebnisse verweisen auf das Streben von Eltern mit Lernschwierigkeiten nach der Erfüllung geschlechtsspezifischer Fähigkeitsorientierungen, das in Wechselwirkung mit ihrer facettenreichen Diskreditierung in der Elternrolle und der Verinnerlichung von Defizitzuschreibungen steht. Für die Wahrnehmung ihrer Mutter- beziehungsweise Vaterschaft unter behindernden Bedingungen sind sowohl die Beobachtung und Kontrolle durch Fachkräfte als auch deren Unterstützung relevant. Die Möglichkeiten der elterlichen Subjektbildung von Müttern und Vätern mit Lernschwierigkeiten sind demnach von sozialen, kulturellen und ökonomischen Rahmenbedingungen, unter anderem von den jeweils (nicht) existenten systemischen Strukturen, abhängig.Das Verhältnis von Zuschreibungen, Fremdwahrnehmungen und Selbstverständnissen wird im Zuge einer Abstraktion der empirischen Erkenntnisse als Struktur der (De-)Konstruktion von Elternschaft und (Dis-)Ability dargelegt. Die Struktur verdeutlicht die Kluft zwischen Theorie und sozialpädagogischer Praxis mit Eltern mit Lernschwierigkeiten. Damit Soziale Arbeit und ihre Fachkräfte in der Begleitung von Müttern und Vätern mit Lernschwierigkeiten sowie ihren Kindern dekonstruierend agieren können, müssen (An )Forderungen erfüllt werden, die basierend auf den Erkenntnissen dieser Dissertationsschrift ausformuliert werden., Rahel More, MA, Dissertation Alpen-Adria-Universität Klagenfurt 2020