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Multimorbidität, Komorbidität und phytotherapeutische Vielstoffgemische als Arzneimittel

Authors :
Barbara M. Holzer
Reinhard Saller
Source :
Forschende Komplementärmedizin / Research in Complementary Medicine. 17:300-302
Publication Year :
2010
Publisher :
S. Karger AG, 2010.

Abstract

Angesichts der demografischen Entwicklung und der damit einhergehenden deutlichen Zunahme von chronischen Beschwerden gewinnen die Konzepte von Komorbiditat und Multimorbiditat an Bedeutung. Unter Multimorbiditat fasst man im Allgemeinen das gleichzeitige Auftreten von zwei oder mehr Erkrankungen oder Krankheitszustanden in ein und derselben Person zusammen [1, 2]. Dies kann sich auf das Zusammentreffen von nur chronischen Erkrankungen oder auch von akuten und chronischen Erkrankungen bei Patienten beziehen. Allerdings gibt es in der Literatur keine standardisierte (und damit allgemein akzeptierte) Definition. Multimorbiditat ist ein komplexes Phanomen mit einer potenziell unuberschaubaren Zahl an Kombinationsmoglichkeiten von Krankheiten mit teils unklaren Auswirkungen. Dementsprechend konnte eine grose Anzahl von therapeutischen Targets vorliegen. Insgesamt kann Multimorbiditat als ein eigenes Krankheitsbild mit moglichen eigenstandigen Pathophysiologien charakterisiert werden. Demgegenuber setzt Komorbiditat per definitionem das Vorhandensein einer Index-Erkrankung und die Entwicklung von Folgeerkrankungen voraus [3, 4]. Die Abgrenzung der Multimorbiditat zur Komorbiditat ist nicht ganz scharf; ein wichtiger Unterschied ist, dass bei der Komorbiditat eine Hierarchisierung der Erkrankungen vorgenommen wird. Operationalisiert bedeutet dies, dass es sich bei beiden Konstrukten, speziell aber bei der Multimorbiditat um sehr komplexe Behandlungssituationen handelt, die eine MultiTarget-Orientierung nahelegen. Trotzdem werden in den herkommlichen Ansatzen meist einzelne oder kombinierte Mono-Target-Therapien mit uberwiegend selektiven Arzneimitteln eingesetzt. Dies kann zu einer erheblichen Polypharmazie fuhren. Pflanzliche Arzneimittel (Phytotherapeutika) unterscheiden sich in wesentlichen Gesichtspunkten erheblich von anderen modernen Arzneimitteln, z.B. chemisch-synthetischen. Sie sind genuine phytogene Vielstoffgemische, und nicht Einzelsubstanzen oder einfache Kombinationen von Monosubstanzen. Dies hat erhebliche wissenschaftliche und praktischtherapeutische Konsequenzen. Der Wirkstoff (Vielstoffgemisch) z.B. muss in seiner dynamischen Natur betrachtet werden; das reine Erfassen der Einzelkomponenten ergibt kein hinreichendes Funktionsbild. Die Wirkstoffkomponenten gehen untereinander vielfaltige strukturelle und funktionelle, zumeist schwache Bindungen ein. Die Gesamtheit der zahlreichen funktionell-plastischen Interaktionsmoglichkeiten der Einzelkomponenten untereinander kann im Sinne eines flexiblen Netzwerkes auf die zahlreichen Targets des Organismus einwirken (netzwerkartige phytotherapeutische Wirkmechanismen). Zu den Haupt-Targets gehoren Proteine, DNA, RNA sowie dazugehorige Enzyme und Transskriptionsfaktoren sowie Biomembranen [5, 6]. Der gesamte Wirkungsmechanismus eines solchen Wirkstoffes weist auf eine genuine Pleiotropie hin, d.h. er setzt sich unter anderem aus einer Reihe mehrerer, gegebenenfalls zahlreicher, voneinander unabhangiger Mechanismen zusammen. Die Einzelkomponenten des Wirkstoffes liegen zumeist in sehr geringen Konzentrationen vor, sodass in der Regel nicht das gesamte konzentrationsabhangige quantitative Wirkungspotenzial dieser Komponenten zum Tragen kommt (z.B. keine vollstandige Stimulation oder Hemmung physiologischer bzw. pathophysiologischer Ablaufe). Die haufig relativ geringe Inzidenz unerwunschter Wirkungen phytotherapeutischer Arzneimittel konnte unter anderem auf dem Vielstoffcharakter, der Pleiotropie, dem Multi-Target-Ansatz und den niedrig konzentrierten Bestandteilen der jeweiligen Wirkstoffe beruhen. Eine Reihe der Komponenten pflanzlicher Wirkstoffe kommt nahezu ubiquitar im Pflanzenreich bzw. in zahlreichen

Details

ISSN :
16614127 and 16614119
Volume :
17
Database :
OpenAIRE
Journal :
Forschende Komplementärmedizin / Research in Complementary Medicine
Accession number :
edsair.doi...........11a92228e45edf182f5417721c08bfc3