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Möglichkeiten und Grenzen der Epidemiologie

Authors :
L. A. J. Heinemann
Source :
Der Gynäkologe. 30:296-304
Publication Year :
1997
Publisher :
Springer Science and Business Media LLC, 1997.

Abstract

Die modernen oralen Kontrazeptiva der 3. Generation verwenden als neue Substanzen Gestoden und Desogestrel. Epidemologische Studien haben in den letzten 15 Monaten fur diese Stoffe ein scheinbar hoheren Risiko einer venosen Thrombose gegenuber der 2. Generation festgestellt. Diese Ergebnisse haben eine kontroverse Diskussion ausgelost, zumal eine ausreichende biologische Plausibilitat fehlt. Damit ist die Frage nach den Moglichkeiten und Grenzen epidemologischer Untersuchungen zur Beurteilung seltener Arzneimittelwirkungen aufgeworfen. Die 7 grosen Typen von Untersuchungsansatzen fur die Informationsgewinnung, deren Aussagekraft und Fehlermoglichkeiten werden ausfuhrlich besprochen. Mogliche Fehlerquellen konnen in der richtigen Auswahl der Kollektive liegen. In die Thrombosestudien wurden z. B. Patientinnen aufgenommen, die in die Klinik eingewiesen worden waren. Dies konnte Verzerrungen der Ergebnisse im Zusammenhang mit einer Exposition zu venosen Thrombosen geben. Auch die Auswahl des Kontrazeptivum durch den Arzt und die Art der Risikoaufklarung der Patientin haben einen Einflus auf die Studienergebnisse. Zu berucksichtigen ist ferner die Erfahrung aus der Praxis, das Arzneimittel in der ersten Zeit nach ihrer Einfuhrung ein hoheres Risiko aufweisen als nach jahrelanger Nutzung, was sich anhand von Beispielen belegen last. Kurzlich wurden eine Reihe von Beobachtungsstudien zu einem scheinbar leicht erhohten venosen Thromboembolierisiko (VTE) der 3. gegenuber der 2. Generation veroffentlicht, die zu konroversen Diskussionen fuhrten, die Frage nach den Grenzen der Epidemiologie ebenso stellen lies wie die nach der klinischen Relevanz. Das Design der benutzten Beobachtungsstudien ist sicher im Vergleich zu anderen methodischen Ansatzen aus Grunden der Kosten-Nutzen-Betrachtung am ehesten geeignet, seltene Arzneimittelrisiken wie VTE zu erfassen. Jedoch sind es gerade diese Studien, die ganz generell durch Bias und Confounding leicht zu beeintrachtigen sind, was in ganz speziellem Mase fur venose Thrombosen zutrifft. Hier ergeben sich Zweifel, ob die Wirklichkeit hinreichend verlaslich durch das Design der durchgefuhrten Fall-Kontrol-Studien widergespiegelt werden konnte oder das gefundene Risiko zu einem nicht quantifizierbaren Anteil einen Artefakt darstellt. Es ist nicht auszuschliesen, das die Erkennung von Fallen expositionsabhangig war und sogar unterschiedlich zwischen Nutzerinnen der 2. und 3. Pillengeneration. Daruber hinaus ist zu berucksichtigen, das sich die OC der 2. und 3. Generation in unterschiedlichen Phasen der Entwicklung ihrer „zeitabhangigen Risikofunktion“ befinden, womit Kopf-an-Kopf-Vergleiche sehr problematisch werden. Der dahinterstehende „healthy-user effect“ wurde an den Daten einer der Studien gezeigt. Es wird die Schlusfolgerung gezogen, das die beschriebene 1,5- bis 2fach erhohte Risikoschatzung fur VTE bei Nutzung von OC der 3. Generation im Vergleich zur 2. nicht belastbar ist, da die methodischen Voraussetzungen in den Studien nicht gegeben waren, viele mogliche Storgrosen wirklich ausschliesen zu konnen.

Details

ISSN :
00175994
Volume :
30
Database :
OpenAIRE
Journal :
Der Gynäkologe
Accession number :
edsair.doi...........3ed6860c75d50ef043c5debc85a2ba88