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Entfernungsschätzung durch 'Path integration' bei Ameise und Mensch

Authors :
Klaus Jahn
T. Brandt
Stefan Glasauer
A. Stein
Source :
Klinische Neurophysiologie. 38
Publication Year :
2007
Publisher :
Georg Thieme Verlag KG, 2007.

Abstract

Mit „Path integration“ bezeichnet man die Fahigkeit zahlreicher Spezies, eine zuruckgelegte Distanz allein mithilfe von Eigenbewegungsinformation – das heist unabhangig von visuellen oder auditorischen Landmarken – abzuschatzen. Besonders gut untersucht ist diese Fahigkeit bei Wustenameisen, die sich bei der Nahrungssuche mehrere hundert Meter von ihrem Nest entfernen und zuverlassig zuruckfinden. Dabei gibt es eine Abhangigkeit der Leistung von der zuruckgelegten Distanz: je weiter die Ameise von ihrem Nest entfernt war, desto mehr unterschatzt sie den Weg bei der Ruckkehr, lauft also zu kurz. Dieses Verhalten ist mit einem „leaky path integrator“ kompatibel, der immer einen kleinen Teil der bei der „Path integration“ gesammelten Information verliert. Ist ein ahnlicher Mechanismus beim Menschen nachzuweisen? Wir haben bei insgesamt 49 gesunden Versuchspersonen die Fahigkeit untersucht, nach einer gefuhrten geraden Strecke (2–250m) ohne visuelle und auditorische Information zum Ausgangspunkt zuruckzukehren und dabei die Genauigkeit der Entfernungsschatzung gemessen. Die Messungen wurden bei zwei verschieden Geschwindigkeiten (Gehen und Laufen, 50–250m) und mit absteigend, aufsteigend oder zufallig prasentierten Entfernungen (2–64m) durchgefuhrt. Die Ergebnisse zeigen, dass Menschen auch bei den grosten Entfernungen in der Lage waren, die Distanz zu reproduzieren (gain um 1,0). Dabei gab es keinen Unterschied zwischen Gehen (1,3m/s) und Laufen (2,7m/s), dies spricht gegen einen „leaky temporal integrator“. Bei den gemessenen Entfernungen ergab sich jeweils fur die kurzeste Distanz ein Uberschiesen, fur die grosten Distanzen ein relatives Unterschatzen des Weges. Die Steilheit und Entfernungsabhangigkeit dieser Beziehung war mit einer „leaky integration“ nicht zu erklaren, sondern war abhangig vom getesteten Distanzbereich und von der Reihenfolge der Prasentation. Im Unterschied zu Ameisen verfugen Menschen offenbar uber einen zusatzlichen Mechanismus, um ihre Leistung bei der „Path integration“ an den erwarteten Entfernungsbereich anzupassen und damit im Mittel ihren Ausgangspunkt zu erreichen. Es wird angenommen, dass dabei ein Schatzwert uber die mittlere Entfernung mit einem Messwert der tatsachlich zuruckgelegten Strecke verglichen wird. Ziel der Untersuchungen ist eine mathematische Beschreibung dieses Zusammenhangs in einem Modell als Basis fur die Anwendung einfacher Tests zur „Path integration“ bei Patienten mit raumlichen Orientierungsstorungen.

Details

ISSN :
14394081 and 14340275
Volume :
38
Database :
OpenAIRE
Journal :
Klinische Neurophysiologie
Accession number :
edsair.doi...........647e4202c77e8ac1e876a1defa803ecf
Full Text :
https://doi.org/10.1055/s-2007-976315