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Genetische Aufklärung als Abschaffung des Common sense

Authors :
Rehberg, Karl-Siegbert
Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS)
Samerski, Silja
Rehberg, Karl-Siegbert
Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS)
Samerski, Silja
Source :
Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2; 5976-5984; Kongress "Die Natur der Gesellschaft"; 33
Publication Year :
2010

Abstract

"Professionelle Beratung dient heute in erster Linie dazu, Klienten zu sogenannten 'informierten' oder 'eigenverantwortlichen' Entscheidungen zu befähigen. Ob bei der Anlageberatung der Deutschen Bank, bei der Gesundheitsberatung der Krankenkasse oder der Erziehungsberatung beim Psychologen: Experten verstehen es als ihre Aufgabe, durch Aufklärung und Information den Rahmen vorzugeben, innerhalb dessen Klienten in eigener Verantwortung entscheiden sollen. Ein besonders krasses Beispiel für diese neue Form des Entscheidungsunterrichts ist die genetische Beratung schwangerer Frauen. Nach einer anderthalbstündigen Belehrung über allgemeine Risiken des Schwangergehens, mögliche Chromosomenaberrationen und verschiedene Erkrankungswahrscheinlichkeiten soll eine werdende Mutter entscheiden, ob sie sich einer Fruchtwasseruntersuchung unterzieht oder nicht. Diese Entscheidung, zu der sie der genetische Berater drängt, ist historisch einzigartig: Ist das Ergebnis des Chromosomenchecks auffällig, dann muss sie überlegen, ob sie ihre Schwangerschaft angesichts der verringerten Entwicklungschancen des Ungeborenen abbricht oder nicht. Die genetische Beratung verlangt also von Frauen, auf der Grundlage von Laborbefunden und Risikokalkulationen über das Kommen des Kindes zu entscheiden. Bei Sinnen bleiben kann die schwangere Frau nicht: Den Anforderungen an eine verantwortungsbewusste Schwangere entspricht nur diejenige, die Herz und Verstand dem Risikokalkül unterwirft. Die genetische Beratung ist daher paradigmatisch für den Verlust von 'common sense' durch das Eindringen von Experten in den Bereich persönlicher Überlegung und Entscheidung. Als mündig gilt heute nur noch derjenige, der gelernt hat, sich nicht mehr auf die eigenen Sinne zu verlassen, sondern abstrakte Werte und statistische Zahlen gegeneinander abzuwägen." (Autorenreferat)

Details

Database :
OAIster
Journal :
Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2; 5976-5984; Kongress "Die Natur der Gesellschaft"; 33
Publication Type :
Electronic Resource
Accession number :
edsoai.on1256762542
Document Type :
Electronic Resource