Beim Vergleich der europäischen Volkswirtschaften sucht man in der österreichischen Diskussion Begriffe wie Ordoliberalismus oder Freiburger-Schule vergebens. Sehr wohl finden sich, vor allem, wenn die Wirtschaftspolitik der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts aufgegriffen wird, der Ausdruck Keynesianismus und sehr bald auch der Begriff Austro-Keynesianismus. Bei Auseinandersetzung mit dem Austro-Keynesianismus fällt auf, dass diese Phase vorzugsweise der Wirtschaftspolitik der SPÖ-Alleinregierung in den 1970er Jahren und der Sozialpartnerschaft zugeschrieben wird. Diese Masterarbeit beschäftigt sich mit der Einflussnahme neokorporatistischer Organisationen während der Phase des Austro-Keynesianismus. Beabsichtigt wurde, Hintergründe zu erforschen, welche Aufschluss darüber geben, warum dem Keynesianismus, welcher die Volkswirtschaften vieler westlicher Staaten bis zum ersten Ölpreisschock im Jahr 1973 bestimmte, in Österreich das Präfix Austro zugeschrieben wurde. Die Forschungsfrage, inwieweit durch die Sozialpartnerschaft im Austro-Keynesianismus das Präfix Austro substituiert werden kann, soll beantwortet werden. Um die Forschungsfrage beantworten zu können, wurde die Erhebungsmethode des offenen, leitfadengestützten Expert*inneninterviews verwendet, wobei insgesamt sieben männliche Personen, welche an wirtschaftspolitischen oder wirtschaftsstrategischen Stellen tätig waren oder sind, Vertreter neokorporatistischer Organisationen und der Autor eines wegweisenden Fachbuches als Interviewpartner gewonnen werden konnten. Aufbauend auf das durch die Literatur erhobene Wissen wurde der Leitfaden erstellt, welcher individuell an den Hintergrund der Experten angepasst wurde. Bei der getroffenen Auswahl wurde darauf geachtet, dass die Experten über entsprechendes Hintergrundwissen hinsichtlich der Wirtschaftspolitik der 1960er bis 1990er Jahre verfügen. Eine Auswertung erfolgte durch Anwendung der interpretativen Methode nach Meuser und Nagel, was dazu beigetragen hat, dass das fachspezifische Wissen in Kategorien geordnet dargestellt werden konnte. Mit zwei schriftlichen Stellungnahmen weiterer Expert*innen ließen sich die Ergebnisse ergänzen. Hinsichtlich der zentralen Forschungsfrage lässt sich feststellen, dass durch das Präfix Austro sowohl Elemente des austro-keynesianischen Instrumente-Mix, allen voran die Hartwährungspolitik, mit welcher sich die österreichische Währung Schilling an der westdeutschen Währung D-Mark orientierte, als auch durch jene durch die verhandelnden Akteure der Sozialpartnerschaft zum Ausdruck gebrachten Dialogkultur verkörpert wird. Durch diese Dialogkultur gelang es, während einer langen Phase der SPÖ-Alleinregierung die Stimmen der Opposition in die Regierung zu kommunizieren und diese an Entscheidungen partizipieren zu lassen, weshalb erklärt werden kann, dass eine Partei dreizehn Jahre lang allein regieren konnte. Das gemeinsame Bemühen der Sozialpartnerschaft wird mitunter dadurch zum Ausdruck gebracht, dass ein ÖGB-Präsident eine ausverhandelte Lohnerhöhung im Jahr 1973 anlässlich einer Verteuerungswelle von Rohöl in eine moderate Anpassung abänderte, obwohl zu diesem Zeitpunkt Vollbeschäftigung vorlag und sich die Gewerkschaft in einer ausgesprochen guten Verhandlungsposition befand. Diese spezifische Form der Wirtschaftspolitik, bei welcher nicht ausschließlich nachfrageorientierte, in erster Linie keynesianische Instrumente Anwendung fanden, konnte sich nur die kleine, exportorientierte österreichische Volkswirtschaft erlauben, weshalb erklärt werden kann, dass in Österreich im Gegenzug zu anderen Volkswirtschaften länger an keynesianischem Gedankengut festgehalten wurde. Vielseitige Eindrücke weisen darauf hin, dass ohne Einbeziehung der Sozialpartnerschaft der Austro-Keynesianismus nicht möglich gewesen wäre und der Einfluss dieser zur Stabilität und Kontinuität beigetragen hat. Diese Masterarbeit greift eine nationale Wirtschaftspolitik der Vergangenheit auf, welche unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen aufgrund der Einbindung Österreichs in die Europäische Union nicht mehr realisierbar wäre. Dennoch werden Handlungsempfehlungen wie die verstärkte Einbindung neokorporatistischer Organisationen in politische Entscheidungsprozesse oder die Möglichkeit der staatlichen Preisregulierung aufgezeigt, welche sich durchaus aufgrund der gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Turbulenzen, die durch den von Russland gegen die Ukraine geführten Invasionskrieg hervorgerufen werden, bewähren können. In the Austrian discussion regarding the comparison of European economies, one searches in vain for terms such as ordoliberalism or the Freiburger Schule. The expression Keynesianism and, very soon, the term Austro-Keynesianism are used, especially when the economic policy of the second half of the last century is debated. When dealing with Austro-Keynesianism, it is noticeable that this phase is mainly attributed to the SPÖ's sole government in the 1970s and to the concept of social partnership. This master thesis deals with the influence of neo-corporatist organizations during the phase of Austro-Keynesianism. The intention was to research the historical circumstances to shed light on the question why Keynesianism, which determined the economies of many western countries until the first oil price shock in 1973, was given the prefix Austro in Austria. One aim was to answer the question to what extent the use of the prefix Austro can be explained by the implementation of the concept social partnership in Austria. In order to be able to answer the research question, the survey method of open, guided expert interviews was used, whereby a total of seven people who were or are active in economic policy or economic strategy positions, representatives of neo-corporatist organizations and the author of an pioneering reference-book, were won as interview partners. Based on the knowledge the author was able to gain by studying the literature, a guide was created, which was individually adapted according to the background of the experts. When making the selection, it was ensured that the experts have deep knowledge concerning economic policy from the 1960s to the 1990s. An analysis was carried out using the interpretative method according to Meuser and Nagel, which resulted in the fact that the collected expertise can be illustrated by grouping them in categories. The results were supplemented with two written statements. Regarding the central research question, it can be stated that the prefix Austro reflects both most important elements of Austro-Keynesianism, above all a specific currency policy, with which the Austrian currency Schilling was based on the West German currency D-Mark, as well as the culture of dialogue executed by the negotiating actors of the social partnership. Through this culture of dialogue it was possible to communicate the views and ideas of the representatives of the political opposition during a long phase of the SPÖ's sole government and it allowed them even to participate in decisions. This is one reason to explain the fact that one party was able to govern alone for thirteen years. The joint efforts of the social partnership are sometimes demonstrated by the fact that an ÖGB president changed an already negotiated wage increase in 1973 to a moderate adjustment against the background of massive price increases for crude oil, although at that time the union was generally strong and in an extremely good negotiating position. Only the small, export-oriented Austrian economy could manage this specific form of economic policy, in which not only demand-oriented, Keynesian-instruments were used, which is why it can be explained that in contrast to other economies, Keynesian ideas were held onto for longer in Austria. Various signs that Austro-Keynesianism would not have been possible without the involvement of the social partnership and that the influence of this instrument has contributed to stability and continuity in the country. This master's thesis takes up a national economic policy of the past, which would no longer be feasible under the current framework conditions due to Austria's integration into the European Union. Nevertheless, recommendations for action such as the increased involvement of neo-corporatist organizations in political decision-making processes or the possibility of governmental price regulation are shown, which can certainly prove their worth due to the current economic and political turbulence caused by the invasion war waged by Russia against Ukraine. Abweichender Titel laut Übersetzung der Verfasserin/des Verfassers Masterarbeit Wien, FH Campus Wien 2022