Die vorliegende Dissertation beschäftigt sich mit der Orientierungsfunktion, die der erlernte Beruf für Individuen ausübt. Durch die Selektion arbeitsmarktrelevanter Fähigkeiten kommt ihm eine besondere Rolle in der Vermittlung zwischen Bildung und Arbeitsmarkt zu. Mit dieser Arbeit wird hinterfragt, ob und wenn ja, wie sich Veränderungen in der Arbeitswelt und im Bildungswesen auf diese Orientierungsfunktion auswirken. Die 1970er bis 2000er Jahre setzen für diese Fragestellung die idealen Rahmenbedingungen: Die Arbeitswelt ist durch die dritte industrielle bzw. mikroelektronische Revolution und die damit einhergehende Globalisierung geprägt. Die Nachfrage nach Tätigkeiten verändert sich. Zunehmende Arbeitslosigkeitserfahrungen und die Entstehung atypischer, vom unbefristeten Vollzeitvertrag abweichender, Arbeitsverhältnisse führen zu Unsicherheiten im Erwerbsverlauf. Im Bildungssystem wird im selben Zeitraum der Ausbau des Hochschulsektors forciert. Das duale Ausbildungssystem, welches als Idealbild für die Verknüpfung von staatlicher Bildung und wirtschaftlichen Anforderungen gilt, verliert bei den jungen Generationen hingegen an Attraktivität.Trotz einer Vielzahl an Studien, die sich der Übereinstimmung von Ausbildungs- und Erwerbsberuf annehmen und berufliche Mobilitäten untersuchen, kann die Frage nach einer Entberuflichung an den Übergängen zwischen Ausbildung und Erwerbstätigkeit bislang nur zu Teilen beantwortet werden. Dies hat vorwiegend drei Gründe: Erstens wird der Beruf als ein zeitlich starres Konstrukt betrachtet, was je nach Aggregation zu unterschiedlichen Rückschlüssen über eine Entberuflichung führt. Dabei ist zu beachten, dass sich berufliche Inhalte und damit auch die inhaltlichen Distanzen zwischen Berufen über die Zeit verändern. Zweitens werden verschiedenartige Eigenschaften unterschiedlicher beruflicher Abschlüsse nicht vergleichend berücksichtigt. Dies ist aber notwendig, um die Diskussion über eine Lockerung beruflicher Strukturen von der Fixierung auf den relativen Bedeutungsverlust von Facharbeitern und dem Rückgang an Auszubildenden im dualen System zu lösen. Drittens fehlt eine Forschungsperspektive, welche die Brückenfunktion des Berufs ins Zentrum rückt und seine strukturierende Funktion für Akteure in den beiden Lebensbereichen Bildung und Arbeitsmarkt untersucht. Mit dieser Dissertation wird zur Schließung dieser Forschungslücken beigetragen.Die Arbeit untergliedert sich im Wesentlichen in drei thematische Teile: Einen theoretischen, einen methodischen und einen empirischen Teil. Diese Blöcke werden der Übersicht halber in jeweils mehrere Kapitel untergliedert. Zuletzt werden Schlussfolgerungen aufgrund der gewonnen Erkenntnisse gezogen, Limitationen benannt und Empfehlungen für die zukünftige Gestaltung von Bildungscurricula abgeleitet.Im ersten theoretischen Teil wird zunächst der Stellenwert des Berufs im deutschen Bildungs- und Erwerbssystem herausgearbeitet, seine Funktionsweisen aufgezeigt und der Untersuchungsgegenstand definiert. Der Kern des erlernten Berufs wird über das fachliche Fähigkeitsprofil definiert. Dieses grenzt ihn zu anderen Berufen ab und muss erfasst werden, wenn die Tragfähigkeit beruflich qualifizierender Abschlüsse überprüft werden soll. Im darauffolgenden Kapitel werden die Änderungen der Arbeitswelt zwischen den 1970er und 2000er Jahre beschrieben und darauf folgend Hypothesen für die Anwendbarkeit des erlernten Fähigkeitsprofils abgeleitet. Konkret wird eine Erweiterung des Task-Biased-Technological-Change-Ansatzes vorgenommen und das Positionsverhältnis von neuartigen Technologien der mikroindustriellen Revolution zur Nachfrage nach Tätigkeiten in den Mittelpunkt gerückt. Der technologische Wandel wird somit direkt auf die Anwendbarkeit erlernter fachlicher Fähigkeiten bezogen. Zudem werden theoretische Zusammenhänge zwischen Brüchen im Erwerbsverlauf und der beruflichen Bindekraft hergestellt. Das anschließende Kapitel befasst sich mit dem Wandel des Bildungssystems und arbeitet weitere berufliche Charakteristika heraus. Es wird erwartet, dass fachspezifische Konkurrenzsituationen, die Lizenzierung eines Berufs, der Signalwert des beruflichen Abschlusses, die Spezifität des Fähigkeitsprofils und die Art der Ausbildungsform die Anwendbarkeit des erlernten fachlichen Fähigkeitsprofils beeinflussen.Der methodische Teil untergliedert sich in zwei Kapitel. Zunächst wird ein Messkonzept von fachlichen Fähigkeitsprofilen vorgestellt und empirisch überprüft. Es wird gezeigt, dass einzelne fachliche Fähigkeiten in mehreren Berufen Anwendung finden können. Die Besonderheit eines Berufs ergibt sich durch die jeweilige Intensität der Fähigkeit und der Zusammensetzung mit anderen fachlichen Fähigkeiten. Über eine Harmonisierung der Mikrozensen zwischen 1973 bis 2011 auf Berufsebene, kann erstmals eine konsistente Zeitreihe von innerberuflichen Tätigkeitsverteilungen erschaffen werden. Gewichtet mit den durchschnittlichen Bildungszeiten im Beruf lassen sich hierdurch für jeden Beruf zeitpunktspezifische fachliche Fähigkeitsprofile berechnen. Damit werden die bisherigen Beschränkungen bei der Messung von Berufswechseln über Berufskennziffernvergleiche überwunden. Denn über einen Vergleich des individuellen Fähigkeitsprofils von Akteuren mit dem in Erwerbsarbeit nachgefragten Fähigkeitsprofil können fachliche Übereinstimmungen zum einen in einer "`Humankapitaltransferrate"' bemessen und intuitiv interpretiert werden. Zum anderen ermöglicht die neuartige Bemessung den Fähigkeitsaufbau über Mehrfachausbildungen nachzuzeichnen. Der Vorteil der Operationalisierung kann empirisch belegt werden: Die Transferraten können die subjektiven Einschätzungen von Erwerbstätigen hinsichtlich der Verwertbarkeit von in der Ausbildung erworbenen Fähigkeiten und Kenntnissen sowie der Verwandtschaftsbeziehung zwischen Ausbildungs- und Erwerbsberuf besser prognostizieren als alternative, in der Literatur verwendete, Messansätze.Das zweite methodische Kapitel widmet sich der Konstruktion neuartiger Indikatoren, um die beruflichen Spezifika eines erlernten Berufs abzubilden. So werden die einzelnen Fähigkeiten der Akteure hinsichtlich ihrer Technologiereagibilität in technologisch ersetzbare, technologiebegleitende, -komplementäre und - neutrale Fähigkeiten eingeordnet. Die fachspezifische Konkurrenzsituation im Beruf wird über einen Vergleich der Berufsstruktur der jährlichen Berufsabschlüsse mit der Berufsstruktur der Erwerbstätigen im Beruf abgebildet. Die Spezifität eines fachlichen Fähigkeitsprofils bemisst sich an den durchschnittlich notwendigen Bildungsinvestitionen, die für das Erlernen eines zufällig zugelosten Arbeitsplatzes notwendig wäre. Der Signalwert der Ausbildungsabschlüsse wird über den Zugang an Personen ohne formale berufliche Qualifikation und den Anteil an Hochqualifizierten im Beruf operationalisiert. Um die Auswirkungen der beruflichen Spezifika auf die Anwendbarkeit erlernter Fähigkeitsprofile zu überprüfen, werden die Bildungs- und Erwerbsverläufe westdeutscher Ausbildungskohorten der Jahre 1973 bis 2002 bis mindestens fünf Jahre nach Erstausbildungsende betrachtet. Diese werden retrospektiv über den IAB-Datensatz "`Arbeit und Lernen im Wandel"' erhoben.Der empirische Teil untergliedert sich in sechs Kapitel. Zunächst werden die Berufsprofile der Ausbildungskohorten beschrieben und der Einstiegsprozess in den Arbeitsmarkt dargestellt. Anschließend werden die unterschiedlichen Stationen in der Bildungs- und Erwerbskarriere hinsichtlich der Orientierungsfunktion des erlernten fachlichen Fähigkeitsprofils multivariat untersucht. Als erstes wird der Austritt aus der (Erst-)Ausbildung analysiert. Dabei stehen den Akteuren drei Alternativen zur Wahl: Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im erlernten Fähigkeitsprofil, außerhalb des erlernten Fähigkeitsprofils oder ein Wiedereinstieg in das formale Bildungswesen. Anschließend werden die Folgeausbildungen in den Blick genommen. Hier besteht die Möglichkeit sich im bestehenden Fähigkeitsprofil zu spezialisieren oder dieses fachlich zu erweitern, jeweils mit der Möglichkeit den Komplexitätsgrad für das Fähigkeitsprofil zu erhöhen oder nicht. Zudem kann die Folgeausbildung auch abgebrochen werden. Der dritte multivariate Analyseschritt widmet sich dem Austritt aus einer Folgeausbildung in die Erwerbstätigkeit. Sind die Akteure einmal in ihrem erlernten Fähigkeitsprofil erwerbstätig, ist die Anwendungszeit ihres Fähigkeitsprofils von Interesse. Auch in diesem vierten Untersuchungsschritt wird der Wiedereinstieg in das berufliche Bildungssystem als Alternative zu einer Erwerbstätigkeitsaufnahme außerhalb des erlernten Fähigkeitsprofils angesehen. Um das Bild über die Tragfähigkeit beruflicher Qualifizierungen abzurunden, werden zuletzt Erwerbstätigkeiten außerhalb des erlernten Fähigkeitsprofils betrachtet und untersucht, welche beruflichen Spezifika die Rückkehr in das erlernte Fähigkeitsprofil oder den Wiedereinstieg in Bildung begünstigen.In der Deskription zeigt sich, dass sich die Ausbildungskohorten vor allem durch ihren Qualifizierungsweg unterscheiden. So nimmt der Anteil berufspraktischer Qualifizierungen über die jüngeren Kohorten ab und der Anteil an akademischen Abschlüssen zu. Damit steigt zugleich der Anteil an Akteuren, die sich in technologiekomplementären Fähigkeiten qualifizieren, während technologisch ersetzbare Fähigkeitsprofile zurückgehen. Ebenfalls zunehmend ist der Anteil an Qualifizierungen in lizenzierten Berufen und spezifischen Fähigkeitsprofilen. Der Anteil an destandardisierten Berufen nimmt aufgrund der allgemeinen Höherqualifizierungen hingegen ab. Bei den Einstiegsprozessen der Ausbildungskohorten zeigt sich, dass vor allem bei den Männern Arbeitslosigkeitserfahrungen nach dem Erstausbildungsende zunehmen und die Anwendbarkeit des erlernten Fähigkeitsprofils in der Ersterwerbstätigkeit zurückgeht. Fünf Jahre nach Erstausbildungsende liegt der Anteil der Akteure, die außerhalb des erlernten Fähigkeitsprofils erwerbstätig sind jedoch in allen Kohorten bei nahezu 30 Prozent, so dass keine zunehmende Entberuflichung im Arbeitsmarkt erkennbar wird. Allerdings offenbart sich, dass die jüngeren Kohorten häufiger in die formale Bildung zurückgekehrt sind, um Veränderungen am Fähigkeitsprofil vorzunehmen.Fasst man die Ergebnisse aus allen multivariaten Untersuchungen zusammen, ergeben sich folgende Erkenntnisse: Eine Entberuflichung sollte nicht am Rückgang der dualen Ausbildungsform festgemacht werden. Unter Berücksichtigung von beruflichen Eigenschaften bietet eine schulische oder hochschulische Ausbildung den Akteuren eine ähnliche Orientierungsfunktion, wie Akteuren mit einer berufspraktischen Ausbildung. So spielt unter anderem die Position der Fähigkeit zu neuen Technologien eine Rolle. Bei technologisch ersetzbaren und technologieneutralen Fähigkeiten zeigt sich langfristig eine kürzere Anwendungszeit in Erwerbstätigkeit. Akteure mit technologiebegleitenden Fähigkeiten wenden ihr Fähigkeitsprofil hingegen häufiger in Erwerbstätigkeit an und nutzen Folgeausbildungen für den beruflichen Aufstieg. Insgesamt erhöht ein Technologiebezug der Fähigkeit die Neigung in eine Folgeausbildung einzutreten. Qualifikationsspezifische Konkurrenzsituation erhöhen zum Beginn der Erwerbskarriere das Risiko das erlernte Fähigkeitsprofil zu verlassen. Akteure in Berufen, die über Bedarf qualifizieren, nutzen zudem Folgeausbildungen, um sich für andere Tätigkeitsfelder zu qualifizieren. Auch bei Akteuren, die sich in destandardisierten Berufen qualifiziert haben oder mit nicht formal beruflich Qualifizierten konkurrieren, ist eine geringere Anwendbarkeit des erlernten Fähigkeitsprofils erkennbar. Zu späteren Zeitpunkten der Erwerbskarriere spielt eine Ausbildungssituation über Bedarf und die Destandardisierung des Berufs keine Rolle mehr. Hingegen zeigt sich dann, dass berufspraktisch qualifizierte Akteure bei einer zunehmenden Akademisierung des Berufs aus ihrem erlernten Fähigkeitsprofil verdrängt werden. Akteure mit spezifischen Fähigkeitsprofilen zeigen eine vergleichsweise hohe Berufstreue und treten eher in eine Folgeausbildung über, als eine Abwertung ihrer Bildungsinvestitionen in Erwerbstätigkeit zu erfahren. Eine ebenfalls hohe Berufstreue zeigt sich bei Akteuren mit einem lizenzierten Abschluss.Brüche in der Erwerbsbiografie, wie sie über Arbeitslosigkeit oder Kündigungen eines Arbeitsverhältnisses zustande kommen, erhöhen, wie atypische Beschäftigungsformen, die Wahrscheinlichkeit einer Erwerbstätigkeitsaufnahme außerhalb des erlernten Fähigkeitsprofils. Die negativen Produktivitätssignale haben aber nicht nur Folgen für die Anwendbarkeit formal erlernter Fähigkeitsprofile, sondern befördern allgemein die berufliche Mobilität und damit auch die Entwertung von Fähigkeiten und Fertigkeiten, die anderweitig erworben werden. Dies zeigt die Analyse zur Rückkehrhäufigkeit ins erlernte Fähigkeitsprofil. Sie offenbart auch, dass der erlernte Beruf gerade in unsicheren Zeiten der Erwerbskarriere als Orientierung dient.Im Vergleich der Einstiegsprozesse der Ausbildungskohorten in den Arbeitsmarkt, zeigt sich, dass die zunehmenden Wiedereinstiege in Bildung bei den jüngeren Kohorten zwar über Kovariaten moderiert aber nicht vollständig erklärt werden. Der Wunsch nach höherer Bildung muss deshalb in den Akteuren selbst verankert sein und dem Glauben unterliegen, dass sich der Zugang zu beruflichen Positionen vor allem mit einem entsprechenden beruflichen Zertifikat realisieren lässt. Hieraus kann geschlussfolgert werden, dass es vor allem der Credentialismus der Akteure ist, der die berufliche Strukturierung des Bildungssystems und des Arbeitsmarktes manifestiert. Dennoch zeigen die häufigeren Folgeausbildungsaufnahmen auch, dass die Gestaltung von individuellen Fähigkeitsprofilen innerhalb von beruflichen Strukturen an Bedeutung gewinnt. Für die Gestaltung zukünftiger Bildungscurricula, sollte dies berücksichtigt werden, um Lernergebnisse unterschiedlicher Träger besser miteinander zu verzahnen und so berufliche Umorientierungen und Aufstiegsprozesse zu erleichtern. published